Besser leben im Westend
Vordergründig gehts ums Nordend. Dort breitet sich die Angst aus, das Viertel könnte wie das Westend werden. Eine homogenes Quartier für Besserverdienende bei gleichzeitigem Verlust kultureller und sozialer Vielfalt. Wie könnte eine solche Entwicklung aufgehalten werden?
Darauf gibt die Soziologin Martina Löw in einem Interview mit der FAZ vom 7.12. 2010 folgende Antwort:
Es ist sinnvoll, als Stadtplanung darauf zu achten, dass nicht zu viele Quartiere in der Stadt monostrukturell organisiert sind. Beim Westend ist das der Fall, es richtet sich sehr eindeutig an eine bestimmte soziale Schicht. Jede Stadt muss sich im Klaren sein, dass die sozialen Probleme wachsen, wenn zu viele Stadtteile nicht durchmischt sind. Man kann sich einzelne Stadtteile erlauben, die sehr homogen sind, aber sobald sich das zu stark ausweitet, werden in der Regel die sozialen Spaltungen immer stärker.
Als praktische Maßnahme zur Verwirklichung eines "Mischungsverhältnisses" schlägt sie die Ausweisung von Sozialwohnungen in den betroffenen Stadtteilen vor.
Eine große Chance
Den Vorteil eines Zuzugs ärmerer Bewohner erklärt Frau Löw wie folgt:
Es ist gerade für Menschen, die wenig haben, eine große Chance, wenn sie in Quartieren mit Menschen zusammenleben, die viel Geld haben. Das eröffnet ganz andere Arbeitsmöglichkeiten und, vor allem, ein informelles Kontaktnetz. Das verschließt sich, wenn sie in homogenen Quartieren mit anderen wohnen, die wenig Geld haben. Sie nehmen den Bevölkerungsgruppen die Chance, sich im Austausch miteinander gegenseitig zu unterstützen. Die einen leben davon, dass sie Arbeitsplätze und Kontakte von den anderen bekommen. Und die anderen sind wiederum auf die Unterstützungsleistungen im Haushalt, in der Familie, im privaten Bereich angewiesen.
Nehmen wir das erwähnte Westend. Wo sollten da noch Sozialwohnungen entstehen, wenn sie denn gewollt und finanzierbar wären? Im Westend ist doch jeder Flecken der Spekulation unterworfen.
Und bräuchte es denn einer Art moderner Leibdienerschaft, die vor Ort lebt? A la Rüstiger Frührentner (55) übernimmt gerne Botendienste aller Art. Um im Westend putzen zu gehn, reicht es doch auch in Fechenheim zu wohnen.
Ein gutes Beispiel für die soziale Elastizität des Stadtteils ist doch die Uni, die seit gut 5 Jahren auf dem ehemaligen IG Farben Gelände residiert. Ihr Einfluß auf die Umgebung hat sich bislang auf 1-2 Copyshops und den Zuzug der Autorenbuchhandlung Marx beschränkt. Es gibt noch nicht einmal ein neues Café oder eine neue Kneipe.
Mag sein, daß sich auch Bockenheim nicht über Nacht in ein Studentenviertel entwickelt hat. Aber schon die Vorstellung einer studentischen Wohnbevölkerung im Westend wirkt bei seinen Mieten wenig nachvollziehbar. Geschweige denn die übrige Infrastruktur aus kleinteiligem Gewerbe, wie sie sich um die Leipziger Strasse gebildet hat.
Studentin sucht Zimmer für 250 Euro warm
Gerade die Ausbildung eines Kontaktnetzes ist auf kleinteilige Strukturen und niedrigschwellige Angebote angewiesen. Welcher Taxifahrer als Chauffeur in spé wird denn beim Edelitaliener herumhängen, um seine zukünftige Kundschaft abzupassen?
Umgekehrt wäre zwar vorstellbar, daß der Banker in die Szenekneipe geht, so es die denn gäbe. Womit sich die Katze in den Schwanz beisst.
Die Vorschläge von Frau Löw (sie spricht auch von günstigem Gewerberaum und Sozialprojekten) zielen wohl eher auf die Verteidigung unterprivilegierter Stadtteile, als auf die Umwandlung des Westends ab.
Doch was meinen Sie?
Was könnte, was müsste sich im Westend ändern, damit Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Einkommensverhältnisse einander begegnen könnten?
Aufruf zur Beteiligung vor Ort (Grüneburgweg)
* * *
Das vollständige Interview mit Martina Löw:
http://www.faz.net/s/RubFAE83B7DDEFD4F2882ED5B3C15AC43E2/Doc~EFC4FE6BCCE...
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Wieso unbedingt günstig wohnen?
Wo nehmen die Leute ihren Anspruch auf eine günstige Wohnung in dieser zurecht exklusiven, weil zentralen Lage her? Wer schön wohnen will, muss es sich eben leisten können. Wem das zu teuer ist, kann ja nach Niederrad oder Rödelheim ziehen.
Eine Mischung von arm und reich wird NIEMALS funktionieren: Wer Geld hat, möchte schön wohnen. Schönes Wohnen zieht renovierte, schicke Fassaden, teuren Einzelhandel, gute Restaurants etc. mit sich. Dies wiederum hebt automatisch die Mieten. Arme Leute wollen all das nicht. Ein Viertel, dass diese Annehmlichkeiten aber nicht bietet, kann keine reichen Leute anlocken. In Ghettos fordert doch auch niemand "wir wollen überteuerte Wohnungen für die oberen 10.000 hier!", also muss man in guten Gegenden auch nicht krampfhaft sozialen Wohnungsbau für ärmere Leute fordern!
Bitte so lassen
Ich wohne im Westend (lange kein Student mehr) und hoffe, dass es sich nicht zu einem "Studentenviertel für Jedermann" zurückentwickelt.
Jede Stadt hat schöne, nicht so schöne, teure, günstige, bürgerliche, alternative, laute, leise, zentrale und dezentrale Stadtteile, manche geeignet für Familien, manche eher für Studenten, manche mehr für Gutverdiener. Entsprechend ist auch die Infrastruktur des jeweiligen Stadtteils gewachsen. Das Westend hat sich nunmal als schicker Stadtteil für Großverdiener entwickelt. Dem angepasst hat sich die Gastronomie- und Einzelshandelsstruktur in der Ecke. Wer gutes Geld verdient, zentral und dennoch idyllisch wohnen möchte, mit guten Restaurants, netten Feinkostläden und schicken Bars, zieht gezielt ins Westend, weil er dort das findet, was er sucht. Nur weil jetzt Studenten in der Gegend unterwegs sind, sollte man jetzt nicht erwarten, dass sich das Viertel dieser Entwicklung anpasst. Denn für studentisches "Hauptsache billig und alternativ"-Flair zahlen die Westend´ler keine Mieten um 15 bis 20 Euro pro Quadratmeter!
Also Studenten, in Bockenheim habt ihr doch alles, was ihr braucht! Und mit Bahn und Rad ist das ja auch in wenigen Minuten erreichbar.
Re: Bitte so lassen
Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Schwerpunkt des Artikels war nicht per se die Frage nach der Qualität des Westends, sondern die Überlegungen der Soziologin Martina Löw, nach der es einem Viertel gut bekäme, wenn dort auch ärmere Menschen lebten.
Da Frau Löw das Westend erwähnte, hatte ich mir einige Gedanken zu möglichen Veränderungen gemacht. Wenn ich mir die neusten Bauprojekte (zB in der Oberlindau) ansehe, bekomme ich Zweifel, ob es noch günstigen Wohnraum im Westend geben wird.
Zu den Folgen kann man geteilter Meinung sein. Der Aufstieg von Hamburg Ottensen als begehrtes Wohngebiet zeigt doch den vollen Zwiespalt der Entwicklung. Menschen mit Geld wollen nach Ottensen der kulturellen Vielfalt wegen. Gleichzeitig gefährden sie damit eben diese Vielfalt, weil sich Menschen, die diese Kultur hervorbringen, die Mieten nicht mehr leisten können. Die Balance zu finden ist recht schwierig.
Ich wollte damit ja auch
Ich wollte damit ja auch sagen, dass ich nicht finde, dass es im Westend günstige Mieten geben muss. So funktioniert nunmal der Markt: zentrale Lage, schöne Häuser -> hohe Mieten -> solvente Mieter -> weitere Aufwertung der Umgebung, Sanierung, Renovierung -> steigende Mieten.
Ich glaube, Arm und Reich zusammen ist ein Irrglaube. Sobald Reiche in eine Gegend ziehen, steigen die Mieten automatisch. Für hässliche Siedlungen und schlechte Infrastruktur kann man wohl keinen Gutverdiener begeistern. Also hebt der Zuzug von solventen Mieterb immer das Preisniveau. Und wenn ich für meine Wohnung 17€ / qm zahle, möchte ich nicht aus dem Fenster gucken und auf einen hässlichen Plattenbau gucken müssen.
z-man
eure thesen bestaetigen meine erfahrungen. seit vier jahren bewohne ich (in einem aussenposten von bockenheim) das westend. dort habe ich die schwierige und undankbare rolle als vermittler zwischen einem autonomen wohnprojekt und kulturzentrum und den nachbarn.
nach vier jahren hat sich so etwas wie ein vertrauensverhaeltnis zwischen mir und eienm teil der nachbarn (alles hausbesitzer) entwickelt. wir tauschen gelegentlich kleinere gefaelligkeieten aus. das verhaeltnis ist aber labil. u.a. weil ich wenig unterstuetzung von meine mitbewohnern erfahre. die orientieren sich praktisch zur anderen strassenseite von der senkenberganlage und wollen mit den 'spiessern' nichts zu tun haben.
anerkennung kriege ich auch ueber zahlreiche umsonst-flohmaerkte die ich auf der strasse organisiert habe und auch diverse 'richtige' flohmaerkte im garten und im gebaeude. der zuspruch aus dem westend fuer die 'richtigen' flohmaerkte war eher maessig. das liegt auch am standort. es gab aber auch eine reihe erfreuliche ausnahmen. meine umsonst-flohmarkt-angebote wurden erfreut angenommen. als ich eine wasserschlacht beim 'challenge-lauf' organisiert habe kam das auch gut an. alle hatten freude. es gab keine verlierer.
einer frau (104 jahre alt) aus der juedischen gemeinde von westend die am bettinaplatz gewohnt hat habe ich eine zeit lang samstags die apfelsinnen vom tengelmann zu sich nach hause geragen. ich bin sehr dankbar dafuer sie kennengelernt zu haben. die schliessung vom tengelmann und die neueroeffnung als rewe-markt hat sie dann aber nicht mehr erlebt.
fuer ein thai-restaurant im westend habe ich mal eine zeit lang werbung ausgetragen. das restaurant hat aber den besitzer gewechselt. in meine strasse passiert mehr als man am anfang denkt. in der apotheke und auch an anderen orten werden taeglich die neuigkeiten ausgetauscht. ich bin sehr froh und dankbar dafuer noch einer anderen sozialen sphaere anzugehoeren und meinen bekanntenkreis nicht ausschliesslich aus hartz IV faellen aus dem gallus zu rekrutieren (ueberspritzt gesagt).
Re: z-man
Herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag. Die Idee der Umsonst-Flohmärkte finde ich eine tolle Idee. Diese entsprechen meiner Forderung nach niedrigschwelligen Angeboten.
Ich finde es auch gut, wenn etwas direkt auf der Strasse stattfindet. Das Westend wirkt sehr abgeschlossen. Es gibt kaum Leute, die einfach so auf der Straße herumlaufen.
Teile uns doch mit, wenn Du wieder einen Flohmarkt machst.
Stefan
(Hab mir erlaubt ein paar Leerzeilen in Deinen Beitrag einzufügen. Zwecks besserer Lesbarkeit.)
ein krampfhafter versuch
vielleicht ist die idee der mischung von menschen verschiedener sozialer schichten nur ein krampfhafter versuch, eine immer fester werdende grenze zwischen arm und reich aufzulockern, hervorgerufen durch die angst, dass reichere viertel sich irgendwann durch zäune mit überwachungskameras - wie in "la zona" dargestellt - umgeben werden. vielleicht würden mindestens ein paar schülerinnen anders denken/reden, wenn sie mit problemen armer menschen unmittelbar konfrontiert wären.
Zäune
Daß es in Deutschland zur Verbeitung von "fenced towns" kommen wird, glaube ich eher nicht. Wohl aber die softere Variante in Form von Sicherheitsdiensten und Patroullien. Das gilt es zu beobachten.
Wenn es wirklich zur Einrichtung von Sozialwohnungen in wohlhabenderen Viertel wie dem Westend käme, dann wahrscheinlich als klar erkennbare Wohnblöcke. Und dann hätten wir eine Befestigung der anderen Art.
Meinung
Gestern an der U-Bahn Station Westend Flyer angebracht. Kommt ein Trupp Schülerinnen vorbei. Eine liest laut: "...Menschen, die wenig haben..." und ergänzt: "...sollen doch gar nicht hier her ziehen..."
Chancen für Kunst
Ich bin Künstler und lebe seit 5 Jahren im Westend. Da gibt es 2-3 Galerien, deren Programm mir auf die Bedürfnisse der Anwohner abgestimmt scheint. Vorwiegend dekorative Malerei. Konservativ.
Weitere Kontaktmöglichkeiten jenseits von Vernissagen sind im Viertel eigentlich nicht vorhanden. Dominieren tut die Speisen(Spesen)gastronomie). Da bleiben die Gäste lieber unter sich.
Kontakte vielleicht noch für Menschen mit Hund. Kein Privileg des Westends.
unrealistisch
ehrlich gesagt kann ich mir nichts gutes vorstellen, wenn menschen unterschiedlicher einkommensverhältnisse einander begegnen würden. neid und missgunst auf der anderen seite, verachtung und desinteresse auf der anderen. habt ihr viele freunde, die viel reicher oder viel ärmer als ihr selbst sind?
Re: unrealistisch
Guter Punkt. Ich jedenfalls nicht. Einkommen/Vermögen hat eine starke Bindekraft. Man bleibt unter sich, weil es Stress vermeidet.
am krassesten wird, finde
am krassesten wird, finde ich, die begegnung von verschiedenen sozialen schichten in einer filmszene (gedreht nach einem roman von stendhal?) dargestellt, in der ein alter verlotterter mann ein adrettes gutherziges fräulein umbringt, das ihm ein paar liebevoll zubereitete brötchen mitbringt, nachdem er was weiß ich wieviel tage nichts gegessen und fast seine komplette familie infolge eines streiks verloren hat. ist diese idee mit dem einzug von ärmeren schichten in reichere viertel nicht so was wie ein paar hübsche brötchen, die die soziale kluft nur noch deutlicher machen und das eigentliche problem von ärmeren schichten nicht mal ansatzweise lösen würden?
Hübsche Brötchen
Treffliches Bild. Ich meine, daß gegen eine Mischung verschiedener Schichten an sich nichts einzuwenden ist. Nur sollte man sich nicht allzugrosse Hoffnungen machen. Chancen klingt wie Lotto.
Chancen
mir gefällt der von dir zitierte satz ;-) ... oh ja, bekanntlich geben menschen, die viel geld haben, automatisch geld ab an diejenigen, die wenig haben. deshalb geht es in der welt ja auch so gerecht zu!
... das wort CHANCE erregt ...bei mir im übrigen mittlerweile abscheu.
(Verena auf Facebook)
Kontakte?
Kontakte? Nette Bankiersfamilie kennenlernen und Sohn entführen. (Tip vom Nachbarn)