Was ich verstehe, wenn ich Kreativ höre
Verteilung der Gelder in der Kultur. Planspiel im Kunstraum multi.trudi 2007
Neulich war ich bei der Akademie für interdisziplinäre Prozesse auf einem Vortrag von Prof. Kai Vöckler "zur kreativen Stadtentwicklung" (in Offenbach).
Ich will gerne annehmen, daß der Herr Vöckler bloß die reine Sachlage in Bezug auf Offenbach geschildert hat.
Aber bei dem wahrlich bigotten Begriff des Kreativen habe ich noch eine andere Assoziation:
kreativ = billig
25.000 € brutto Jahresgehalt für einen "Junior Projektmanager" bei einer großen Agentur, - das ist bestimmt noch Gold gegenüber dem Heer der unbezahlten Praktikanten, die sich von einem zum nächsten Praktikum hangeln, um keine Lücken im Lebenslauf zu hinterlassen.
Kreative jeglicher Couleur leisten dauernd unentgeltliche Arbeit für die Gesellschaft, füllen Leerstände, werten Immobilien und ganze Stadtteile auf. Unabgesichert, freibleibend, flexibel und auf eigenes Risiko. Später dürfen sie der SUV-Brigade den Platz überlassen und sich ein neues Quartier suchen.
Im Tausch für eine gute Idee.... (XQM), da darf man vergammelte Ecken in Frankfurt neu beleben.
Am Ende bleibts bei einem feuchten Händedruck. Wir hätten gerne ein Denkmal.
Wer sich verpflichtet 5 Jahre in Offenbach zu bleiben, kann sich 50% der Bürokosten erstatten lassen. Da ist ein MacBook drin, versicherte Herr Vöckler. Wär auch zu bös, wenn man einfach so kreativ werden müsste.
Schlimmer noch die Geschichte von Hafen2, wie sie der Redner schilderte. Da hat die Stadt Offenbach nicht an den Erfolg des Projektes geglaubt und nebenbei die Planung des Hafengeländes soweit vorangetrieben, daß eine Rücknahme der Räumung von Hafen2 nicht mehr möglich ist. Jetzt kann der Hafen2 sehen, wie er 330.000 € anteilige Finanzierung an einem Neubau aufbringt. Was sind da für Kreative am Werke?
Offenbach des weiteren. Ein kritisches Kunstprojekt erhält 200 €. 200??? "Das hört sich viel an. Und das ist auch viel!" (O-Ton Kulturamt Offenbach)
Was ist aus denen geworden, die mal vor 15 Jahren die Fahrradhalle gemacht und damit neue Perspektiven für die Kunst in Offenbach eröffnet haben? Die meisten sind irgendwo in der Werbung verschwunden. Kreativ?
Ähnliches läßt sich in Frankfurt beobachten. Von denen, die in den 1990er Jahren alternative Kunsträume (Offspaces) gegründet hatten, hat niemand institutionelle Anerkennung erfahren.
70.000 € im Jahr ist die Stadt Frankfurt bereit Künstlern für die Verwirklichung eigener Initiativen zu bezahlen. Allen zusammen, versteht sich. Mit dieser Summe läßt sich langfristiges Engagement nicht ermöglichen.
So kam ich unter die Stadtplaner
Genug der Polemik. Wie steht es um die Einkommens- und Entwicklungsperspektiven für Kreative?
Kreativ = Billig meint immer auch Kreativ = Jung. Man bedient gerne sich der Scharen von Absolventen, die sich gerne mal ausprobieren wollen, die monetäre Anerkennung in Zukunft verschieben, bis ihnen klar wird, das Zwischennutzung ihr ganzes Leben war. Was dann?
Bis zum Beweis des Gegenteils will ich annehmen, daß nur die Geld verdienen, die all diese Kreativen verplanen, einordnen, nutzbar machen, dirigieren und verwalten. Die befinden sich nämlich auf Augenhöhe mit den Strukturen, die noch auf dem Restgeld sitzen und sich kostengünstig Aufwertungen aller Art bescheren lassen.
Gegenstimmen?
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Mit einer Gegenstimme kann ich nicht dienen, dafür ist das, was du schreibst, viel zu richtig und so ja auch schon seit geraumer Zeit bekannt. Ich war nicht bei besagter Veranstaltung habe aber grundsätzlich bei dieser Offenbacher Akademie den Eindruck, dass sie die von dir beschriebene Subjektivitätsform des prekären Kreativschaffenden eher weniger hinterfragt. Was ich von dort mitbekommen habe war eher ein etwas eigenartiger Mix aus Pop-Unterhaltung, spektakulären (sensu Debord) Performances und Vorträgen über tolle iPhone-Apps. Einen Versuch, den Kreativdiskurs abzuwehren, wie du es auf der Mailingliste zurecht gefordert hast, kann ich da irgendwie nicht erkennen. Oder täusche ich mich da?
Beste Grüße,
Ben
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Hallo Ben,
danke für Deinen Kommentar. Mir gehts ähnlich, wenngleich ich noch nicht 100% sicher bin was diese Akademie angeht. Ich war auch erst einmal dort. Aber mir scheint, es ist nicht das kritischste Unterfangen.
Grüße
Stefan
Lieber Ben, lieber
Lieber Ben, lieber Stefan,
vielleicht solltet ihr mal Dienstags zu den Forschungsseminaren der Akademie gehen. Ich denke da werdet ihr finden, was ihr vermisst. Und soweit ich weiß, freut man sich dort über jeden, der Ideen und Anregungen genau zu diesem Thema der Verbesserung der finanziellen Situation engagierter "Kreativer" beisteuert. Denn auch die Akademie ist von dieser Unterbezahlung massiv betroffen. Bislang fanden alle Veranstaltungen ohne Budget statt und nicht mal ob sie den Raum im Winter überhaupt beheizen können, steht aktuell fest.
Beste Grüße
Julia
Verbesserung
Hallo Julia,
danke für Deinen Beitrag. In meinem Artikel gings ja erstmal um den Vortrag von Herrn Vöckler. Eine Diskussion über die Arbeit der Akademie sollte vielleicht eher auf dieser Seite stattfinden http://www.thing-frankfurt.de/places/afip
Nur ganz kurz meine Meinung: bislang habe ich bei der Akademie weder eine sonderlich kritische Disposition noch eine engere Spezifizierung feststellen können. Letzteres wäre sicherlich in einem "Forschungsseminar" ganz gut aufgehoben.
Stefan