[rohrpost] Linz und die Medienkunst
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Date: Mon, 5 Oct 2009 14:55:40 +0200 (CEST)
From: "Franz Xaver"
Subject: [rohrpost] Linz und die Medienkunst
To: rohrpost@mikrolisten.de
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30 Jahre Ars und die Zukunft
Die Stadtwerkstatt wurde heuer von der Ars Electronica eingeladen, um
bei einer "Historylounge" im "netten" Beisammensein ueber die
vergangenen Projekte der STWST zu plaudern.
Aufgrund einer anderen Position zur Geschichte nahmen wir diesen Termin
nicht wahr.
Uns ist die Dokumentation der Historie zu wichtig um sie bei einem
"netten Beisammensein" abzuhandeln.
Wir beschäftigen uns im Moment sehr intensiv mit der Geschichte der
Medienkunst und das nicht nur aus reinem Eigeniteresse.
Es geht um 20 Jahre altes, analoges Bandmaterial das nun an die Grenze
der Verwertbarkeit stoesst. Dieses Problem trifft aber nicht nur die STWST,
sondern ist auch bei der MitstreiterInnen aus den 80er Jahren.
Bei so manchen PionierInnen der österr. Medienkunst verrotten aus
mangeldem Interesse der Öffentlichkeit die Baender und somit die Geschichte.
Dies öffnet den AkteurInnen der Web2.0-Geschichtsschreibung Möglichkeiten
einer neuen Interpretation von Vergangenheit.
Gerade in einer Stadt die ueber ein Museum für Technologien,
Medienkunst und Zukunft verfuegt, zeigen sich in der Aufarbeitung der
Vergangenheit grosse Lücken.
Da wir uns um die österreichische Kunst-Geschichte bemuehen starteten
wir im September eine, für zwei Jahre hindurch angelegte Interviewreihe
in unserer Zeitung VERSORGERIN, in denen Positionen von MedienkuenstlerInnen
festgehalten werden die in den 1980er Jahren aktiv waren.
Zum ueberwiegenden Teil handelt es sich um KuensterInnen die durch
Ankaeufe von nationalen und internationalen Sammlungen und von öffentl.
Museen bereits Spuren in der Kunst hinterliessen aber in der Linzer
Version der Medienkunst nicht vorkommen oder wieder gestrichen wurden.
Unsere ersten Interviewpartner waren Graf und Zyx.
Erscheinungstermin war zur Ars Electronica - 3.9.2009
hier ein Ausschnitt aus dem aktuellen 2-seitigen Interview:
--------------- SNIPP ---------------------
_Welchen Stellenwert hatte bzw. hat das Ars Electronica Center/Festival
in Eurem Genre?
Wir haben natürlich auch eine Ars-Electronica-Vergangenheit, kurzfristig
sogar eine überdurchschnittlich umfangreiche und prägende mit der
Gesamtgestaltung der ORF-Videonale/Computerkulturtage
(http://medienkunst.grafzyx.at/index.php?id=1128), sind aber wohl nicht
zufällig fast spurlos aus den öffentlich zugänglichen Archiven der Ars
Electronica wie Porno links aus der Browserhistory entfernt worden.
Vermutlich war schon aus unseren damaligen Beiträgen eine distanzierte,
vielleicht spöttische Skepsis der Ars Electronica gegenüber
herauszulesen, einer Ars Electronica, die schon damals aufgrund einer
sehr erweiterten Definition von Kultur einen Hang zur Kulturlosigkeit
erkennen ließ, der spätestens bei der Prämierung von Pixars perfekt
animierter, aber infantiler Schreibtischlampe offensichtlich wurde. Zur
kompetenten Kuratierung von Medienkunst gehören neben
disziplinübergreifenden allgemeinen Erfahrungen eine kunst-, kultur- und
kommunikationswissenschaftliche Bildung und praktische Kenntnisse in
neuen Technologien, will man nicht auf den Zauber trivialer Effekte
hereinfallen.
Die Ars Electronica hat ein Problem, weil sie sich aus Angst vor
Bodenverlust nicht entschließen kann, sich endlich klar zur Medienkunst
zu bekennen und störrisch von einem veralteten, pseudodemokratischen
Kulturbegriff aus operiert, der mittlerweile derart inflationär ist,
dass er rein gar nichts mehr bedeutet. Letztendlich ist mit Kultur heute
alles gemeint, was sich an den Haaren herbeiziehen lässt, am wenigsten
aber seltsamerweise die Kunst, die eigentlich der am ursprünglichsten
legitimierte Kulturträger ist, im aktuellen kulturpolitischen Umfeld
aber in kurzsichtiger Weise mehr und mehr ausgehungert wird.
Ähnlich wie Peter Weibel moniert, dass rein ökonomisch motivierte
Entscheidungen für einen Investitionsstop in die Kompetenz der
Mitarbeiter in den Medien diese zu Medien der Unterschicht verkommen
lässt, halten wir ein dominantes Quotendenken einer Institution für
destruktiv, die sich irgendwann immerhin auch als Vertreterin einer
Avantgarde innerhalb der elektronische Medien beschrieben hat und den
Begriff »Kunst« im Namen trägt.
Skurrilerweise sind gerade wir, die wir seinerzeit wie einige andere
auch einen erweiterten Kunstbegriff gefordert, propagiert und in unserer
gesamten Produktion umgesetzt haben, gezwungen, heute mit Überzeugung
die Rückkehr zu einer elitäreren Auffassung von Kunst zu empfehlen, weil
wir natürlich damals eine ressentimentlose Verschmelzung der
Katalysatoren »Kunst« und »Kommerz« gemeint haben und nicht, dass eine
Kulturauffassung der Ungebildeten die Kunst sozusagen auffrisst und nur
mehr von Massen, Politik und Medien gleichermaßen geliebte weil ohne
Rezeptionsanstrengungen versteh- und konsumierbare Events übrig lässt.
Ist die Forderung nach dem »Original« in der Kunst im Zeitalter der
digitalen Netz- und Medienkunst auch hoffnungslos überwuzelt, darf Kunst
aber nach wie vor originär sein, originell zu sein ist für Kunst
jedenfalls zu wenig. Die der Kunst als definitorisch fundamentale
Eigenschaft inhärente Vielschichtigkeit wird einer von Politik und
Sponsoren geforderten eindeutigen, verbalisierbaren und meist noch dazu
banal-sozialpolitischen Aussage (auch von Künstlern mittlerweile
vorauseilend) geopfert.
Dieser Vorgang scheint wenn, dann nur durch eine konzertante
Verweigerungshaltung aller Künstler diesen Vergewaltigungswünschen
gegenüber umkehrbar zu sein eine konsequent emanzipatorische und als
solche zwangsläufig zumindest temporär radikale Vorgangsweise, die
aufgrund des in einer mehr und mehr hungrigen Künstlerschaft
vorherrschenden paranoiden Konkurrenzverhaltens
nicht zu erwarten ist.
_Wie seht Ihr die Rolle des AEC als Museum der Zukunft?
Im Wesentlichen nicht anders als die Rolle jedes anderen Museums, die
fundamental unterschiedlich zu der eines Festivals oder einer Kunsthalle
oder einer Galerie oder einer privaten Sammlung ist. Diese Rollen werden
zur Zeit gern vermischt, müssten aber wieder sauber getrennt werden,
will sich das Museum aus den Fängen des Zeitgeists und kommerzieller
Lobbys befreien.
Die Hauptaufgaben des Kunstmuseums sind und bleiben die Sammlung und die
Dokumentation der jeweils zeitgenössischen Kunst nach möglichst
objektiven oder klar definierten subjektiven, nicht nach irgendeinem
Ranking wertenden Kriterien, auch des noch Unentdeckten. Entbehrlich im
Vergleich zu dieser Tätigkeit, zu der wir sonst keine anderen
öffentlichen oder privaten Institutionen verpflichtet sehen, ist der
Parallelbetrieb einer Kunsthalle, einer Galerie, eines Festivals ? noch
dazu interessenskonflikterzeugend unter derselben Direktion.
-------- snipp end --------
Es gab ein kleines Problem mit der Postzustellung.
Falls jemand die VERSORGERIN nicht per Post gekriegt hat, bzw die
Versorgerin in Zukunft gratis mit der Post bekommen moechte....
...hier nochmal die Postadresse bekannteben eintragen
falls jemand wegen Sicherheit bedenken hat: https://versorg.ung.at :)
>> >> STADTWERKSTATT
>> >> Kirchengasse 4
>> >> A-4040 Linz
>> >> http://www.stwst.at
>> >> mailto:stwst@stwst.at
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- 38 Herzen
Re: Linz und die Medienkunst
Lieber Franz Xaver,
vielen Dank für Deinen spannenden Beitrag.
Aus Frankfurter Perspektive möchte ich folgendes beitragen. Fast selbstredend kann sich die Öffentlichkeit hier bei keiner Institution über den Stand lokaler Medienkunst informieren.
Beim Museum für Moderne Kunst läuft immerhin ein Projekt an, die dort lagernden Videobänder zu sichten und möglicherweise zu restaurieren.
Am Museum für angewandte Kunst gabs mal um 2002 herum die Gruppe Digital Craft, die versuchte neben Videospielen auch Internetprojekte zu sammeln und zu archivieren. Diese wurde vom Direktor Schneider abgesetzt.
Die Kulturseite der Stadt Frankfurt hatte bis vor kurzem eine Rubrik "Neue Medien". Die dort versammelten Links gingen auf meine Initiative zurück. Mit dem Relaunch der Seite in diesem Jahr fielen die Rubrik und damit auch die Links weg.
Im eigentlichen Sinne gibts auch keine Netzkunst mehr in Frankfurt, wenn man mal von den versprengten Aktivitäten des Herrn Braun absieht.
Die Gründe mögen nahe an der Argumentation von Graf+Zyx liegen:
> So sind rein ökonomisch gesehen Netzkunst und im Internet publizierte Medienkunst zur Zeit - noch mehr, als es früher die Videokunst war - Werbeträger für traditionell verkaufbare Arbeiten oder Aufträge.
Herzliche Grüsse
Stefan Beck